All die Meter, die wir uns gestern Abend mühsam nach oben gekämpft haben, sind wir heute früh wieder heruntergeholpert. Dabei waren wir nicht viel schneller als in der Gegenrichtung. Der sehr raue, stark angewitterte Beton ließ ein schnelleres Rollen nicht zu. So waren wir froh, als wir den Stadtrand von Oliena erreicht hatten. Die Besichtigung des Stadtzentrums hatten wir von gestern Abend auf heute früh verschoben. Also folgten wir den Wegweisern ,,Centro`` und erreichten so die schmalen Gassen der Altstadt. An einer Hauswand entdeckten wir ein relativ neues Wandbild, ähnlich denen in Orgosolo. Aber noch auffälliger waren die kunstvollen Keramikkacheln in Form einer Urkunde mit Siegeln, die viele Häuser schmückten.
Während der Besichtigung, Edda war gerade mit Fotografieren beschäftigt, zeigte ein älterer Sarde, der zusammen mit seinen Nachbarn auf einer Bank am Straßenrand den Vormittag verbrachte, ein sehr großes Interesse für unser Rad. Wir konnten ihn zwar nicht verstehen, trotzdem war zu spüren, dass ihn unser Gefährt begeisterte.
Noch bevor wir den Stadtrand von Dorgali erreichten, trafen wir auf die erste Gruppe Radfahrer am heutigen Tag. Es sah aus wie eine geführte Tour ohne Reisegepäck. Sie warteten an der Kreuzung bis die Letzten, von Orosei kommend, Anschluss gefunden hatten.
Dorgali liegt auf etwa 400 m Höhe am Westhang des Monte Bardia. Obwohl es durch eine Bergkette vom Meer getrennt ist, wird der Ort deutlich sichtbar vom Tourismus geprägt. In den engen Straßen herrschte dichter Verkehr, sowohl auf den schmalen Fußwegen als auch auf der Fahrbahn, und auch wir kamen nur langsam voran. An einem Straßencafe, an dem wir eine Mittagspause einlegen konnten, so wie wir es an der Westküste fast jeden Tag gemacht hatten, sind wir nicht vorbeigekommen. So hielten wir auf einem winzigen Platz für eine kurze Pause an, direkt vor einer Bäckerei. Unsere Räder dienten uns als Ersatz für die fehlende Bank. Da wir genug Zeit für die Besichtigung der ,,Grotta del Bue-Marino`` haben wollten, hielten wir uns in Dorgali nicht länger auf, obwohl es noch einiges Sehenswertes im Ort gab.
Am tiefsten Punkt des Kamms zwischen Monte Bardia und dem südlicheren Monte Tului durchquert ein neu gebauter Straßentunnel den Berg. Der unmittelbar daneben liegende alte Tunnel dient heute Radfahrern und Fußgängern als Verbindung nach Cala Gonone. Hier sahen wir zum zweiten mal auf Sardinien die blauen Verkehrszeichen mit dem Fahrradsymbol. In einer rasanten Abfahrt legten wir die wenigen Kilometer auf der kurvenreichen, aber gut ausgebauten Straße bis zum Hafen zurück. Nur der Gedanken an die vielen Höhenmeter, die wir morgen früh wieder nach oben müssen, trübte etwas den Genuss.
Bis in die 1960er Jahre war Cala Gonone noch ein kleines mittelloses Fischerdorf, dass nur schwer über den Landweg zu erreichen war. Umgeben von einer knapp 400 Meter hohen Kalksteinküste zieht sich das im Winter nur etwa 1000 Einwohner zählende Dorf immer mehr an der Felswand des Monte Irveri hinauf. Hier reiht sich heute ein Hotel an das andere. Aus dem idyllischen Fischerdorf ist ein turbulenter Ferienort geworden, für den auch extra ein Sandstrand künstlich angelegt wurde, damit es ein richtiges Seebad ist.
Kurz nach der Ankunft in Cala Gonone, wir suchten noch den Eingang zum Hotel Pop, sprach uns auf der Straße ein Brite an. Er hatte uns oder besser gesagt unser Rad wiedererkannt. In Oristano waren wir uns schon einmal begegnet. Wie er erzählte, hatte er, ebenso wie wir, im Hotel Rodia übernachtet und wir seien ihm dort schon aufgefallen. Auch wir konnten uns dann an das kurze Gespräch vor dem Hoteleingang erinnern, in dem wir über unsere bisherige Sardinienrundtour und unsere nächsten Etappenziele gesprochen hatten.
Noch bevor wir unser Zimmer bezogen, erkundigten wir uns am Hafen nach den Abfahrtszeiten der Boote zur blauen Grotte. Es war noch genug Zeit bis dahin. Als alle Sachen auf unserem Zimmer verstaut waren, starteten wir zu einer kurzen Fußwanderung direkt unterhalb der Steilküste Richtung Norden, Richtung Orosei. Je weiter wir uns vom Ort entfernten, um so abenteuerlicher wurde der schmale Weg dicht oberhalb des Meeresspiegels. Er schien aber regelmäßig begangen, es muss sich also lohnen um den Felsvorsprung herum weiter zugehen. Uns erschien es aber zu abenteuerlich.
Am späten Nachmittag starteten wir dann vom kleinen Jachthafen mit dem letzten heute fahrenden Ausflugsboot zur ,,Grotta del Bue -Marino``, die nur vom Wasser aus zu erreichen ist. Vom Boot aus waren die Badebuchten am Ufer zu sehen, die den besonderen Reiz der sardischen Ostküste ausmachen und viele Besucher anlocken. Manche der kleinen Sandbuchten sind nur mit dem Boot oder zu Fuß nach einer mühsamen Wanderungen zu erreichen. Zusammen mit uns kam noch ein zweites Schiff aus einem anderen Badeort weiter südlich an. So pilgerten ein großer Pulk von Besuchern dem einzigen Führer hinterher, der seine Erläuterungen immer abwechselnd in italienischer und in englischer Sprache gab. Die hinteren wurden immer wieder aufgehalten von den Versuchen, die Pracht der Tropfsteine im Foto festzuhalten. Ein Unterfangen, das sich schon in Alghero als fast aussichtslos herausstellte, leider genauso aussichtslos, wie der Versuch am Abend an einem Kiosk im Ort, eine wirklich schöne Postkarte zu finden. Der Boden der Grotte stieg ganz langsam an, je weiter wir vordrangen. Aus dem Meeresboden wurde so der Grund eines kleinen unterirdischen Flusses, der eher einer Kette kleiner Seen glich. Irgendwo in der Mitte befand sich nach den Worten unseres Führers, der hier einen kleinen Stopp einlegte, die Grenze zwischen Süß- und Salzwasser.
In einer etwas größeren Halle endete der öffentlich zugängliche Teil des ausgedehnten Höhlensystems, das auch heute noch nicht bis in den letzten Winkel erkundet ist. Die Berge an der Küste erreichen hier gut tausend Meter Höhe und bestehen fast ausschließlich aus Kalkgestein. Eine ideale Voraussetzung für die Entstehung solcher Höhlensystem mit ihren fantastischen, ganz langsam wachsenden Gebilden. Auf dem gleichen Weg gleichen Weg, auf dem wir gekommen sind, ging es wieder zurück zum Ausgang. Trotzdem war der Anblick ein anderer, wir sahen alles aus einer anderen Perspektive und manches Detail wurde erst jetzt sichtbar, so auch moosbewachsene Tropfsteine. Sie sind eine Folge des Kunstlichtes, das täglich einige Stunden für die Touristen hier leuchtet.Peter Schaefer 2010-10-21