Fr. 19.9. Cala Gonone - Orosei

28,7km, 550Hm

So rasant wie gestern die Abfahrt nach Gala Gonone. so mühsam war heute die Auffahrt. Wir hatten uns die wenig befahrene Straße in Richtung Norden ausgesucht. Nach nur drei Kilometer Fahrstrecke erreichten wir den Pass etwa dreihundert Meter über dem Meer. Von den vielen Serpentinen aus bot sich immer wieder ein anderer Blick auf die von hohen Bergwänden eingeschlossenen Bucht, an deren Ufer Gala Gonone liegt. Die steilen Felsen sind das ideale Paradies für Kletterer. Direkt von der Straße führen mehrere markierte Pfade direkt zu den senkrecht ansteigenden Felswänden. Wir sahen noch zwei Bergsteiger mit ihrer Ausrüstung, Rucksack und ein langes, sorgfältig aufgewickeltes Seil, zwischen den Sträuchern am Hang verschwinden. Auf

Bild 1.95: Bergziegen
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der anderen Seite des schmalen Seitentales, in dem sich die Straße nach oben schlängelte, kletterten Ziegen. Wir zählten mehr als zwanzig Tiere, die sich hier ihr karges Futter suchten und dabei noch am steilsten Hang sicheren Halt fanden.

Während eines Fotostopps, die enge kurvenreiche Straße ließ nur wenige davon zu, überholte uns ein etwa gleichaltes Pärchen mit ihren einfachen Mountainbikes. Es waren zwei Tschechen, die hier schon seit einigen Tagen unterwegs sind. Sie besaßen schon eine erstaunliche Ortskenntnis und wussten recht gut, welche Wege hier mit dem Rad passierbar sind und welche nicht. Sie rieten uns von dem Versuch ab, von der Grotta di Ispinigoli aus an der Küste entlang nach Orosei zu fahren. Sie mussten dort stellenweise ihre Mountainbikes schieben oder tragen. Der Pass ist eng wie eine Tordurchfahrt und wirkt auch genau so. Zu beiden Seiten steigen die Felswände einige Meter senkrecht an. Es ist das Tor zur anderen Seite des Berges. Die Landschaft fällt hier in sanften Wellen zum Meer hin ab.

Etwa auf halben Weg zwischen der Passüberfahrt und der Grotta di Ispinigoli fiel uns eine alte Straßenwalze auf, die in einer Wegeinfahrt hinter einem provisorischem Zaun abgestellt war. Sie wirkte als sei sie bei den letzten Straßenbauarbeiten hier vergessen

Bild 1.96: Alte Straßenwalze
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worden und roste nun langsam vor sich hin. Erst ein Stückchen weiter war zu erkennen, dass sich hier ein privat betriebenes Museum für alte Landwirtschaftstechnik befand. Die Hinweistafel an seinem verschlossenem Eingang ließ aber die Frage nach den Öffnungszeiten und den Besuchsmodalitäten unbeantwortet.

Noch während wir unsere Räder auf dem Parkplatz vor der Grotte anschlossen, erkundigten sich zwei Rennradler bei uns, ob man die Höhle auch mit Rennradschuhen begehen könne. Wir konnten ihnen nur sagen, dass wir mit unseren Fahrradschuhen in der Neptungrotte keine Probleme hatten. Ein Testaufstieg über die Betonstufen bis zum Kassenhäuschen am Eingang hielt sie aber dann wohl doch von einer Besichtigung ab. Damit dürfte ihnen eine der besonderen Sehenswürdigkeiten Sardiniens entgangen sein.

Die Grotta di Ispinigoli ist der am höchsten gelegene Teil eines 16km langen Höhlensystems. Nur dieser große Saal ist für Touristen zugänglich. Er ist wahrscheinlich durch den Einsturz der Decke

Bild 1.97: Die große Tropfsteinsäule im Zentrum der Grotta di Ispinigoli
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zwischen zwei kleineren, übereinander gelegen Hohlräumen entstanden. Aus den Erfahrungen unserer letzten beiden Höhlenbesichtigungen und der Enttäuschung über die verfügbaren Ansichtkarten mit Bildern vom Höhleninneren haben wir diesmal das Fotografierverbot ignoriert. Die eigentliche Attraktion dieser Grotte ist die große Säule in ihrer Mitte, die mit 38 Metern die höchste Tropfsteinsäule Europas sein soll. Entstanden ist aus einem Stalagtiden, der den von unten wachsenden Stalagmiten im Laufe der Jahrzehntausende erreicht hat. Heute hat das Wachstum der Kalkgebilde in diesem Teil der Höhle faktisch aufgehört, da hier nur noch sehr wenig Regenwasser einsickert. Jetzt am Ende des Sommers ist alles sehr trocken, man hört nirgends einen fallenden Wassertropfen. Das Deckgebirge ist zu dünn, um den während der Wintermonate fallenden Niederschlag in ausreichender Menge zu speichern. Die tiefer gelegenen Höhlenteile sind dagegen noch aktiv. In sie kann man durch einen siebzig Meter langen fast senkrechten Schlund im Boden des großen Saales
Bild 1.98: Versteinerter Wasserfall
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gelangen. Ein Unterfangen, das nur Höhlenforschern erlaubt ist und das neben einer speziellen Ausrüstung auch viel Erfahrung und Spezialwissen erfordert. Der Blick in diesen schwarzen Schlund allein ist schon Respekt einflößend.

Die Grotte ist schon seit sehr langer Zeit bekannt. Man nimmt an, dass sie, wie die meisten anderen Höhlen auch, von Hirten entdeckt wurde, die nach einem Unterstand suchten. Bei der Untersuchung der tiefergelegenen Höhlenteile in den fünfziger Jahren wurden dort neben anderen Kultgegenständen auch Bronzefiguren aus der Zeit der Nuraghen gefunden. Wie und warum sie dort hinkamen ist bis heute nicht geklärt. Sehr wahrscheinlich wurde der obere große Saal zu rituellen, kultischen Handlungen genutzt. Dabei sind möglicherweise einige der Kultobjekte durch den Schlund in die Tiefe gestürzt oder wurden ihm als Opfergaben anvertraut.

Die edelste und begehrteste Form des Kalkgesteins, das die Berge der Supramonte bildet, wird kurz vor Oliena in großem Stiel abgebaut. Der Marmor wir hier erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts im industriellen Maßstab gebrochen und verarbeitet. Die Straße führt direkt am mehreren Marmorsteinbrüchen vorbei. Da die Blöcke regelrecht aus dem Berg gesägt werden, entstehen dort glatte weiße Wände. Von weitem wirken diese Wände wie eine verlassene Geisterstadt ohne Fenster. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Steinbrüchen wird der Marmor weiterverarbeitete. Links und rechts vom Straßenrand warten die mehrere Kubikmeter großen Blöcke,

Bild 1.99: Die Marmorsteinbrüche bei Orosei
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sorgfältig beschriftet und nach Qualitäten sortiert, auf die weitere Verarbeitung. Ein Teil der Blöcke wird dazu nach Italien verschifft aus den anderen werden in etlichen Sägewerken entlang der Straße die verschiedensten Platten und Steinformate herausgeschnitten. Der dabei entstehende Kalkstaub, der nicht zu Zement weiterverarbeitet wird, färbt nicht nur die Landstraße weiß-grau ein, sondern die gesamte umliegende Landschaft. Die Steine aus Orosei sind auf Grund der hohe Reinheit und Qualität weltweit gefragt und so fressen sich die Maschinen immer weiter in das weiße Gestein. Außer Marmor wird in den Steinbrüchen auch noch Granit gewonnen, wenn auch in deutlich geringerem Umfang. Auch wenn die Landstraße von Dorgali nach Orosei landschaftlich nicht viel Abwechslung bietet, war die Fahrt durch die Steinbrüche doch beeindruckend und lohnenswert.

Zur späten Mittagszeit erreichten wir das Stadtzentrum von Orosei. Mehr durch Zufall gelangten wir auf den großen Innenhof, der die ehemalige Klosterkirche Sant'Antonio Abate umgibt. Die ehemaligen Mönchszellen, die den Hof umgeben, sind vor einigen Jahren zu Wohnungen umgebaut worden. Die Kirche wird von einem pisanischen Wachturm überragt. Auch er wird zur Zeit anscheinend saniert. Vor seinem Eingang lagerten dicke, frisch bearbeitete Holzbalken. Auf dem Platz zwischen dem Turm und der Kirche steht neben dem alten Brunnen eine Marmorstatue des Mönches Antonio Abate, die erst vor kurzem aufgestellt wurde.

Bild 1.100: Klosterkirche Sant'Antonio Abate
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Wie in fast jeder sardischen Stadt wird auch in Orosei einmal im Jahr ein großes Fest gefeiert. Es beginnt am 16.Januar mit einem großen Feuer hier auf dem Platz zwischen Kirche und Wachturm.

An einem kleinen Platz etwas abseits fanden wir eine Spaghetteria, eine willkommene Einladung zur mittlerweile überfälligen Mittagspause. Erstaunlicherweise waren wir hier am frühen Nachmittag nicht die einzigen Gäste. Die meisten der Nachbartischen waren schon besetzt und es wurde intensiv diskutiert. Ob es Urlauber wie wir waren, oder Einwohner, die sich auf das bevorstehende Wochenende einstimmten, war nicht zu erkennen. Aber das über unser ungewöhnliches Fahrrad debattiert wurde, war eindeutig. Nach einem reichlichen Teller Pasta und einem wie immer guten Espresso konnten wir die letzten zwei Kilometer bis zu unserem Hotel auf halben Wege zwischen Orosei und Marina di Orosei in Angriff nehmen. Das Haus ist erst vor einem Jahr erbaut worden. In der riesigen fast leeren Tiefgarage fanden wir einen guten Platz für unsere Räder.

Den Nachmittag nutzen wir zu einer Fußwanderung nach Orosei Marina. Erst langsam erreicht die Tourismusindustrie diesen Teil der Insel. Auf unserem Weg kamen wir an einer ebenfalls ganz neuen Ferienanlage für Cluburlauber vorbei. Der natürliche Strand besteht aus einem sehr groben Sand. Er machte aber keinen überlaufenen Eindruck und lud im Unterschied zu gestern in Cala Gonone regelrecht zu einem Bad in den seichten Wellen ein. Noch bevor wir aus dem Wasser kamen, begann sich der Himmel bedrohlich zu verdunkeln. Kurz nachdem

Bild 1.101: Am Strand von Marina di Orosei
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wir die ersten schweren Tropfen abbekommen hatten, erreichten wir die Strandbar und fanden dort Schutz vor dem heftigen Gewitter, das jetzt niederging. Nach mehr als einer Stunde war der Spuk vorbei und wir konnten unseren Heimweg zum Hotel antreten, auch wenn der Himmel immer noch recht dunkel und bedrohlich wirkte.

Zum Abendbrot kehrten wir in das Restaurant und Pizzeria auf der anderen Straßenseite ein. Da jetzt in der richtigen Nachsaison nur noch wenige Gäste in unserem Hotel Quartier genommen hatten, bot das Hotelrestaurant nur noch eine sehr eingeschränkte Speisekarte an. An der Rezeption empfahl man uns daher, die nahegelegene Konkurrenz.

Peter Schaefer 2010-10-21