Mo. 2.Oktober Siena

40,6km; 775Hm

Auf dem gleichen Weg, auf dem wir gestern von den Steineichen heimgekehrt waren, ging es heute nach Siena. Erst am Piazza Montalbiuccio, kurz vor der Steineichenallee, verließen wir die uns bekannte Tour. Mitten auf dem kleine Platz, von dem fünf Straßen abgehen steht eine kleine Kapelle. Von hier aus bot sich der erste Blick auf Siena, das sich über mehrere Hügel erstreckt.

Kurze Zeit später hatten wir die Autobahn am Stadtrand überquert und waren mitten in einem dichten Verkehrsgewühl, das wir auch gleich wieder verlass verlassen konnten. Auf dem großen

Bild 1.44: Seitenstraße zum historischen Stadtzentrum von Siena
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Parkplatz, von dem aus ein Fahrstuhl zur Altstadt führt und den uns unsere Gastgeber als Ausgangspunkt empfohlen hatten, wollten wir unserer Räder nicht für mehrere Stunden unbeaufsichtigt abstellen. Auf einer steil ansteigenden Seitenstraße, in der ein Motorroller neben dem anderen parkte und sich etliche Zweiradwerkstätten aneinander reihten, erreichten wir das Tor zur Altstadt, die Porta Fontebranda, eines der eher unscheinbaren Stadttore des vollständig erhaltenen 9 km langen Mauerrings, der einst Siena schützte. Ab hier beginnt die Fußgängerzone, die fast alle Straßen, Gassen und Plätze der Innenstadt einschließt. In den meisten schlendern die Besucher dicht an dicht an den Schaufenstern der unzähligen kleineren und größeren Geschäfte vorbei. Egal ob Modeboutique, Juwelier, Wein- oder Olivenölspezialitäten, Delikatessen- oder Schuhläden, die Auslagen in den Schaufenstern sind immer vom feinsten, und das auch bei den Preisen. Zwischendrin versucht der eine oder andere Wirt ein paar Quadratmeter für einige Tische dem Gedränge abzutrotzen. Etwas abseits werden die Gassen dann leerer, weniger Menschen und weniger Geschäfte.
Bild 1.45: In den schmalen Gassen von Siena
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Auch die Häuser sind hier nicht mehr so prachtvoll und hoch. Auch hier sind sie mit den Fahnen der jeweiligen Contrade geschmückt. Jede Contrade steht für einen der 17 Stadtbezirke Sienas. Zweimal im Jahr, am 2. Juli und am am 16.August, treten jeweils 10 von ihnen zu einem spektakulären Pferderennen dem Palio auf dem Piazza del Campo gegeneinander an. Es ist wohl in ganz Italien das berühmteste und traditionsreichste Pferderennen und Volksfest zugleich. Das Rennen wird seit 1656 alljährlich am 2. Juli zu Ehren der Madonna di Provenzano ausgetragen. Die Wurzeln des Rennens am 16. August zu Ehren der Schutzpatronin Sienas, der heiligen Jungfrau, reichen bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts zurück. Die Ausstrahlung des Palio spürt man das ganze Jahr über in der Stadt und darüber hinaus in der ganzen Umgebung. Auch unsere Wirtsleute, obwohl keine Senesen hat es in seinen Bahn gezogen. Das Video vom diesjährigen Palio, das wir uns bei ihnen ansahen, kann die Stimmung, die in dieser Zeit in der Stadt herrscht, nur andeutungsweise wiedergeben.

Der Dom mit seiner mit schwarzen und weißen Mamorstreifen gestalteten Fassade ist das markanteste Gebäude der Stadt. Allein schon durch diese Farbgebung hebt er sich dominierend von den anderen Gebäuden mit ihrer meist rotbraunen Farbe ab. Leider hat man die gesamte Westfassade des Domes hinter einem großen Baugerüst versteckt. Als Entschädigung dafür war jetzt, Anfang Oktober, der mit farbigen Mosaiken gestaltete Fußboden noch nicht wieder abgedeckt. Die meiste Zeit im Jahr ist er durch Holzdielen geschützt, die nur im September und in der ersten Oktoberwoche entfernt werden.

Bild 1.46: Im prachtvollen Dom von Siena
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So konnten wir die einzelnen in den Marmor geritzten oder als Einlegearbeiten ausgeführten Darstellungen betrachten. Die meisten der über 50 Bilder zeigen Szenen aus dem alten oder neuen Testament. Die Pracht mit der der gesamte Dom im Inneren ausgestaltet ist, kann einen fast erschlagen. Alle Nebenräume, die Bibliothek, sind an den Wänden mit großen Gemälden geschmückt, die Säulen und Decken mit farbigen Mosaikarbeiten verziert. All diese Kunstwerke sollen vom Reichtum und der Macht Sienas künden. Ursprünglich war geplant, den Dom noch weiter zu vergrößern. Die Mauern des durch eine Pestepedemie unvollendet gebliebenen Teils umschließen heute den Piazza Jacopo della Quercia. Hier ist auch das Dommuseum untergebracht, das weitere Gemälde und Skulpturen des Domes beherbergt.

Zum nächsten Ziel unserer Stadtbesichtigung, dem Piazza del Campo, schlängelten wir uns durch etliche immer voller werdende Gassen bis wir eine Stelle fanden, an der wir ohne Treppen auf den Platz gelangen konnten. An der nordwestlichen Seite des Platzes reiht sich ein

Bild 1.47: Restaurantkette auf der Piazza del Campo
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Restaurant an das andere. Vor jedem der altehrwürdigen gotischen Paläste überspannte eine Sonnenmarkise im passenden Braunton die Terrassenplätze. Das Angebot, fast alle waren auf ein mehrgängiges Mittagsmenue aus, entsprach nicht nur preislich unseren Vorstellungen. Bei einigen beschlich uns der fade Eindruck von Touristennepp. So umrundeten wir den Platz einmal, etwa dort wo beim Palio die Reiter auf ihren Pferden um den Sieg streiten, und bogen wieder in eine der Seitengassen ein.

Zum Mittagessen suchten wir uns letztendlich eine kleine Bar aus, etwas abseits des Trubels mit wenigen Tischen auf der Straße aus. Auf dem Tisch lag eine handgeschriebene Speisekarte, von der wir uns etwas aussuchten. Was wir dann bekamen war allerdings nicht frisch zubereitet, sondern uns wurden auf Plastewegwerfgeschirr in der Mikrowelle aufgewärmte Fertiggerichte serviert, die auch genau so schmeckten wie sie aussahen. Wir hatten die auf dem Tisch ebenfalls ausliegende Angebotskarte einer Feinfrostkette übersehen, die uns gleich hätte stutzig machen müssen. Die Karte, aus der wir auswählten, war einfach nur eine handschriftliche Kopie davon gewesen. Trotz dieses Reinfalles, an dem wir selber schuld waren, sind wir satt geworden, und das für sehr wenig Geld.

Wieder zurück auf dem Piazza del Campo erhielten wir oder besser gesagt unser Rad einen Platzverweis durch einen der hier patrouillierenden Carabinieri, der uns mit unmissverständlicher Geste in eine Seitenstraße schickte. Hier schlossen wir unsere Räder neben etlichen Motorrollern, Mopeds und dreirädrigen Kleintransportern zusammen und kehrten auf den Piazza zurück, schließlich hatten wir uns vorgenommen den Torre del Mangia, den Rathausturm zu besteigen.

Bild 1.48: Wendeltreppe im Torre del Mangia
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Vor dem Aufstieg auf den 102 Meter hohen Turm hieß es jedoch ersteinmal warten. Nur immer 30 Personen werden gleichzeitig nach oben gelassen, und erst wenn der letzte wieder unten ist, darf die nächste Gruppe mit dem Aufstieg beginnen. Die steinerne Wendeltreppe ist so steil und eng, dass es schwierig ist einem, der entgegen kommt, Platz zu machen. Auch Taschen, Rucksäcke oder ähnliches müssen unten bleiben. Beim Aufstieg beeindruckt vorallem die Kühnheit, mit der die mittelalterlichen Baumeister vor 650 Jahren zu Werke gegangen sind, ein so schlankes und hohes Bauwerk nur aus Ziegeln zu errichten.

Oben, direkt am metallenen Glockenkäfig angekommen entschädigt ein phantastischer Panoramablick in alle vier Himmelsrichtungen für die Warterei und die Mühen, hierhin zu gelangen. Hier wird beim Blick auf

Bild 1.49: Blick vom Torre del Mangia auf den Dom
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den Dom und die ,,Große Fassade`` erst richtig bewusst welch ein gigantische Bauwerk die Senesen hier nach einem Sieg über ihren Erzrivalen Florenz im 14. Jahrhundert errichten wollten. Andererseits kann man sich hier oben des Eindrucks nicht erwehren, mit dem Kampanile auf gleicher Höhe zu stehen, auch wenn viele Stadtansichten ein anderes Bild zeigen und dem Dom auch optisch die ihm gebührende Rolle zusprechen. Wie so oft im Leben eine Frage des Standpunktes.

Nach dem Abstieg, hieß es langsam wieder Abschied von Siena zu nehmen. Unser Besuch war viel zu kurz und wir wären gerne noch länger hier durch die Stadt gestreift aber uns stand noch der Rückweg durch das Berufsverkehrschaos bevor. Auf der SS73 wollten jetzt alle nach Hause und eine nicht endende Autokolonne überholte uns auf den ersten Kilometern vor Sovicille. Hier mussten wir noch einen kurzen Stopp am Geldautomat und in dem kleinen Kaufmannsladen einlegen.

Kurz vor Ancarno nahmen wir endgültig Abschied von Siena. Von hier bot sich nocheinmal ein weiter Blick auf die entfernte Silhouette mit ihren markanten Türmen, die nun von der untergehenden Sonne in ein malerisches Licht getaucht wurden. Nach halb acht, schon fast im Dunkeln erreichten wir La Cetina.

schaefer 2007-10-07