Die letzten Kilometer Radfahren in Finnland lagen heute vor uns, auf direktem Weg nach Hanko. Wir folgten der in den finnischen Outdoorkarten für Radwanderer vorgeschlagenen Route. Zuvor jedoch führte uns die ufernahe Straße vom Campingplatz aus in die Altstadt von Ekenäs, die auf einer Landzunge liegt. Diese Stadtbesichtigung hatten wir uns für heute aufgehoben. Die meisten der eingeschossigen Holzhäuser sind Anfang des 19. Jahrhunderts nach einem Stadtbrand erbaut worden. Die Gebäude am Rand des alten Stadtzentrums sind zum Teil noch älter, waren sie doch nicht dem Feuer zum Opfer gefallen, darunter auch einige zweigeschossige Häuser aus der Zeit vor 1800. Die Fassaden sind fast alle mit hellen Ockerfarben gestrichen, dazwischen auch einige in dem für Schweden typischen rotbraun.
Die 1624 aus Feldsteinen erbaute barocke Kirche überragt mit ihrem Turm die sie umgebenden Häuser. Sie ist das einzige Baudenkmal aus der Zeit der Gründung von Ekenäs durch den Schwedenkönig Gustav Wasa.Auf dem Marktplatz im Zentrum waren einige Stände eines Flohmarktes aufgebaut. Hier konnte man fast alles finden, von frischem Obst und Gemüse über ausgedienten Hausrat bis zu den üblichen Textilständen mit vermeintlicher Markenware, angeboten von Einheimischen für Einheimische. Unter den Marktbesuchern waren wir wohl die einzigsten Touristen. Die Turistinformation im Stadthaus, direkt am Marktplatz hatte aber offen und hielt noch einiges an Informations- und Werbebroschüren auch in deutscher oder englischer Sprache zum Mitnehmen bereit. Eine der vielen Seitenstraßen, die von dem zentralen Platz vor dem Stadthus, abgehen, ist als kleine Fußgängerzone gestaltete. Es soll die erste in Finnland gewesen sein. Die schlichten, zweigeschossigen und nicht sonderlich attraktiven Häuser hier sind erst in den letzten Jahrzehnten gebaut worden. Aber dafür reiht hier sich ein Geschäft an das andere. Fast die letzte Gelegenheit, nach kleinen Mitbringseln und Geschenken Ausschau zu halten. In einem Marine- und Seglerbedarf sind wir sogar fündig geworden.
Die wenigen Straßencafes hatten auch schon ihre Stühle herausgestellt. Noch standen sie im Schatten der Häuser und die morgendlichen Temperaturen luden daher nicht zum Verweilen ein. So fuhren wir weiter immer am Ufer entlang, am Sportboothafen und der dort vor hundert Jahren auf Pfählen erbauten Seebrücke mit Restaurant vorbei zu der alten Straßenbrücke, über die wir nun zum dritten Mal die lange fjordähnliche Meeresbucht Pohjanpitäjänlahti überqueren.Von Ekenäs folgten wir bis Lappohja dem alten Verlauf der Straße nach Hanko, die jetzt nur noch als Zufahrt zu einigen Streusiedlungen und einzelnen Gehöften dient aber trotzdem gut gepflegt ist. Auf der Straßenkarte ist sie grau eingezeichnet. Bevor wir den Abzweig erreichten, mussten wir doch ein kurzes Stück, knapp einen Kilometer auf die 25. Der parallel verlaufende Radweg hört genau an der Stelle auf, an der wir gestern von Krokby kommend die Fernstraße erreicht hatten. Alle hier aufgestellten Radwegweiser zeigten nun in diese Richtung, aber wie überall ohne Zielangabe. Ob darunter auch die Radroute nach Hanko war, ließ sich ohne Kenntnis der Nummerierung nicht sagen. Auf dem kurzen Stück, bis die Fernstraße ihrem neuen Verlauf folgte und wir nach links abbogen war uns auch kein Weg aufgefallen, der sich als Radweg geeignet hätte. Ab jetzt konnten wir auf einer sehr ruhigen Straße fahren, vorbei an einer Unzahl an Wohn-, Ferien- und Wochenendhäusern, die sich meist hinter den Bäumen versteckten. Zwischendurch kreuzten wir auch die Bahnlinie nach Hanko. Bei Skogby mussten wir auf die andere Seite der 25. Ab hier ist die alte Straße für Kraftfahrzeuge aller Art gesperrt, außer für Anlieger. Auf dem letzten Stück, dort wo der Straßenneubau die alte Trasse beansprucht hatte, gab es nur nur noch einen breiten grob gekiesten Fahrweg neben der neuen Fernstraße.
Mitten im Wald war uns eine Unmenge in mehreren Reihen hintereinander aufgestellte, übermannsgroße Steinbrocken aufgefallen, keine Findlinge, sondern in einem Steinbruch gebrochene, und hierher transportierte Blöcke. Diese Reihen verliefen quer durch den Wald, und die Blöcke standen so dicht, das es schwer viel zwischen ihnen hindurchzugehen. Es handelt sich um eine Hinterlassenschaft aus dem Winterkrieg 1939/40 und der darauf folgenden Zeit, in der die Halbinsel Hanko an die Sowjetunion als Flottenstützpunkt verpachtet war. Man hatte diese Granitblöcke als Panzersperre quer durch das Land aufgereiht. Der Bau einer solchen Panzersperre im Osten des Landes, in Karelien, in der Nähe von Ylämaa hatte zur Entdeckung der dortigen Spektrolithlagerstätte geführt.
Nicht nur an diese Zeit versucht das Frontmuseum in Lappohja zu erinnern. Schenkt man den Informationen an seinem Eingang Glauben, setzt es sich in verschiedenen, zum Teil wechselnden Ausstellungen und Veranstaltungen mit den Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft und Krieg auseinander,
zurückreichend bis zu den Kreuzzügen. Es ist eines von mehreren Museen, die versuchen die sehr wechselvolle Geschichte der strategisch bedeutsamen Region um Hanko mit seinem gut geschützten Naturhafen aufzuarbeiten. Vor seinem Eingang ist unübersehbar, direkt an der Straße alte Kriegstechnik aufgestellt.Kurz vor Taktom erinnert ein sowjetisches Ehrenmal an die fast 5000 in den Kämpfen um die Halbinsel Hanko im Herbst und Winter 1941 gefallenen Soldaten. Hier wurden 453 von ihnen begraben, die während des sogenannten Fortsetzungskrieges fielen. Von mehr als der Hälfte sind die Namen unbekannt. Finnland musste die Landspitze von Hanko gemäß dem 1940 nach Ende des Winterkrieges in Moskau unterzeichneten Friedensvertrag für 30 Jahre an die Sowjetunion für einen Militärstützpunkt überlassen. Nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion stellte die finnische Regierung fest, dass das Land noch einmal im Krieg mit der Sowjetunion lag. Am 2.Dezember1941
verließen nach mehrmonatiger Belagerung durch finnische Truppen die letzten russischen Soldaten und Schiffe den Hafen von Hanko. Die Inschrift auf dem großen einer abgesenkten Fahne nachempfundenen Gedenkstein ist in drei Sprachen, in russisch, in finnisch und in schwedisch verfasst.Nach soviel Erinnerung an die jüngere, von Krieg geprägte finnische Geschichte erreichten wir am frühen Nachmittag dann Hanko, genug Zeit also, auch hier das Stadtzentrum zu besichtigen. Einen Teil der Stadt, vorallem die weiträumige, mit Einfamilienhäusern bebaute Neustadt nördlich der Bahnlinie hatten wir schon am Anfang unserer Reise kennengelernt. Der Orientierungsplan auf der Informationsbroschüre aus der Touristinformation in Ekenäs, künstlerisch ausgestaltet enthält nur den für Touristen interessanteren südlichen Teil und den wollten wir uns nun genauer ansehen. Als erstes erklommen wir den Vartiovuori, den Wachtberg. Direkt neben der neugotischen Kirche erhebt sich der Wasserturm, der den Kirchturm bei
weitem überragt. Wir hatten Glück, es war noch nicht 15 Uhr und die Aussichtplattform hatte noch geöffnet. Also fuhren wir mit dem recht engen Fahrstuhl nach oben. Mehr als vier Personen können nicht gleichzeitig nach oben oder unten gelangen. Oben versah ein junges Mädchen, wahrscheinlich noch eine Schülerin, seinen Dienst als Kassiererin und Aufsichtsperson in einem.Von der Aussichtplattform bot sich ein weiter Blick über die Stadt, die Halbinsel Hanko und den ausgedehnten Schärengarten davor. Eine Unzahl kleiner und kleinster Insel, teils mit Bäumen bewachsen, teils vollkommen kahler Fels, ragt nur wenige Meter hoch aus dem Wasser. Fast schon am Horizont konnten wir den Leuchtturm von Bengtskär ausmachen. Mit dem starken Fernrohr, dessen Benutzung keine weiteren Münzen erfordert, sondern im Eintrittspreis von einem Euro pro Person enthalten ist, war dieser mit seiner markanten Silhouette gut zu erkennen. Er liegt etwa 25km vor Hanko, auf der südlichsten bewohnten Insel Finnlands am äußersten Rand des Schärengebietes. Mit 52 Metern Höhe ist er zugleich der höchste Leuchtturm in Skandinavien. Fast neunzig Jahre lag wies sein Leuchtfeuer den Seeleuten den rechten Weg. Vor zehn
Jahren wurde sein Dienst durch die modernere Navigationstechnik nicht mehr benötigt. Seitdem ist er für Touristen zugänglich und beherbergt mehrere maritime Ausstellungen. Auch kann man zu einem Ausblick über das Meer bis in das ehemalige Lampenhaus aufsteigen. Eine Bootsüberfahrt mit Besichtigung ist ein volles Tagesprogramm.Nachdem wir lange genug die Aussicht in alle vier Himmelsrichtungen genossen hatten, trieb uns der hier oben recht kühle und kräftige Wind wieder nach unten. Hinter uns wurden alle Türen von der aufsichtführenden Schülerin verschlossen, denn die Öffnungszeit war schon deutlich überschritten. Zusammen fuhren wir nach unten und dann wurde auch die äußere Fahrstuhltür verriegelt.
Als relativ schwierig erwies sich die Suche nach einem Café, um hier eine gemütliche Pause einzulegen. Die Strandcafes, an denen wir bei unserer Suche immer den Uferweg entlang vorbei kamen, hatten alle schon geschlossen. Während der Sommersaison soll hier an den vielen Buchten mit ihren weißen Sandstränden richtig viel los sein. Heute war trotz des herrlichen Wetters alles leer und verlassen. Zwei Schachspieler waren auf der Suche nach einem geeignet ruhigen Plätzchen für eine Nachmittagspartie. Auf den Bänken vor dem Casino war fast alles frei, sie suchten sich aber einen kleinen Tisch auf einem der Felsen am Rande des Badestrandes. Hier standen auf beiden Seiten alte Kanonen aus der Zeit der Segelschifffahrt und zielten drohend aufs Meer.
Schließlich fanden wir am Sportboothafen eine Kombination aus Pub und Café. Der Apfelkuchen mit Erdnussdecke war wirklich gut, ganz im Gegensatz zum Kaffee, der gerade einmal Mitropa-Niveau erreichte. Auch Eddas frisch gezapftes ,,Lapin Kulta``war mehr als schal. Aber dafür haben wir nun ein Bierglas mit dieser Aufschrift für Reiners Bierglassammlung.
Nachdem uns bei unserer Kaffeepause nichts mehr einfiel, das wir uns in der Stadt noch ansehen könnten, ging es endgültig zum Hafen. Die Fußgängerzone, laut Prospekt die schönste Finnlands, mit noch nicht einmal 100 Metern Länge wahrscheinlicher die kürzeste Finnlands, hatten wir schon dreimal passiert. Bis zur Ankunft unseres Schiffes war immer noch reichlich Zeit. Von einer kleinen Aussichtsplattform, gerade hoch genug, um bequem über die Mauer der Hafenmole blicken zu können, war die Fahrrinne zwischen den vielen kleinen Inseln gut zu überschauen. Von hier aus konnten wir die Ankunft der ,,Superfast VIII``erwarten. So nach und nach sammelten sich hier die auf die Fähre Wartenden. Vor kurzem war auch der erste Reisebus mit vielen Rundfahrttouristen eingetroffen, die nun für viel unnützen Trubel und Hektik sorgten, obwohl inzwischen bekannt wurde, dass sich die Ankunft und damit auch
die Abreise um etwa eine halbe Stunde verspätet. Wie wir später an Bord erfuhren, schleppte das Schiff seit dem schlechten Wetter am Montag, also seit fast einer Woche, diese sich nur langsam verringernde Verspätung mit.Der Checkin und das Festmachen der Räder neben den nur zwei Motorrädern lief wie bei der Hinfahrt ohne Schwierigkeiten ab. Diesmal waren wir nicht die einzigsten Radfahrer. nach uns kam noch eine Österreicherin, etwa unser Alter, die alleine die neuen EU-Staaten und Russland bereist hatte. Über Tschechische Republik, Polen und die baltischen Staaten führte sie ihre Reise bis nach Königsberg und weiter nach Petersburg. Von dort aus war sie nach Helsinki zu Freunden gefahren, alles alleine mit einem einfachen Cityrad. Hut ab vor dieser Leistung und der Courage, die dazu gehört.
Peter Schaefer 2008-02-06