Auch heute morgen nach dem Frühstück war uns nicht nach Baden. Ein ausgesprochen kalter Wind blies die Schönwetterwolken vom Meer aufs Land. So werden wir wohl in diesem Sommer nicht in der Nordsee gebadet haben, den dies dürfte hier die letzte Gelegenheit dazu sein. Aber dafür ist es zum Radfahren genau das richtige Wetter, das zudem noch Schiebewind versprach.
So gelangten wir teils auf Nebenstraßen, teils auf Radwegen an Hauptstraßen, teils auf ganz neuen Radwanderwegen bis zu unserem nächsten Quartier in Skagen, ohne dass sich der sichtbare Schaden weiter vergrößerte. Die Kabelbinderbandage hielt bis zum Schluss.
An der größten noch aktiven Wanderdüne Råbjerg Mile kamen wir nur am Rande vorbei, konnten die Sanddüne selbst von der Straße aus nicht sehen, bekamen aber einen Eindruck von der Größe des meist mit feinem Gras und stellenweise mit Heidekraut bewachsenen Areals, das zum Naturpark rund um die Wanderdüne gehört. Die Bäume haben es schwer, hier groß zu werden und so finden sich dazwischen nur wenige verkrüppelt Kiefern. Auf und zwischen den unzähligen kleinen und größeren Hügeln, die der Wind aus Sand
aufgebaut hatte, und die nun, da bewachsen, in dieser Form verbleiben, tauchten immer wieder Leute auf, Kinder ebenso wie Erwachsene, die scheinbar ziellos umherirrten. Als einige von ihnen bis fast zum Straßenrand kamen, von dem aus wir das merkwürdige Treiben beobachteten, bemerkten wir, dass jeder von ihnen eine Art Karte hatte, mit deren Hilfe nach irgendetwas oder irgendwem gesucht wurde, wie eine Art organisiertes Geländespiel oder bei einer Schnipseljagd. Aber keiner kam so dicht heran, dass ein Verständigungsversuch eine Chance gehabt hätte.Der Parkplatz an der Fernverkehrsstraße von Frederikshavn nach Skagen, von dem aus der kürzeste Weg nach Råbjerg Mile führt, war bis auf den letzten Platz voll besetzt. Es müssen sich sehr viele Leute an dem merkwürdigen Treiben beteiligen. Einen Hinweis darauf, was dort veranstaltete wird haben wir aber nicht gefunden. So setzen wir unseren Weg Richtung Skagen immer noch leicht grübelnd fort. Ein Abstecher auf dem gekiesten Weg in Richtung Düne schien uns zu riskant, wir wollten nicht riskieren, hier wegen einer weiteren Panne liegen zu bleiben und deswegen unser eigentliches Tagesziel, die Nordostspitze von Jütland, nicht zu erreichen.
Ganz in der Nähe, bei Bunken, trifft der Nordseeküstenradweg auf den Ost"-see"-küsten"-rad"-weg. Das erste Stück Richtung Skagen verläuft dieser fast direkt neben der Hauptstraße, auf der die Tagestouristen in ihren Autos nach und von Skagen unterwegs sind. Ab dem Bahnhof von Hulsig
schlängelt sich der Radweg dann abseits von jeglichem Autoverkehr auf skatertauglichem Asphalt durch die Dünen der Ostseeküste. Ein wahres Radfahreridyll. Allerdings nahm der Verkehr auch hier immer mehr zu, je mehr wir uns Skagen näherten und erforderte ein aufmerksames fahren auf der kurvenreichen, von hohem Gras und Büschen gesäumten Strecke. Zu erst auf Fahrrädern, eigenen aber vorallem ausgeliehenen, dann auch immer öfter zu Fuß, kamen uns kleinere oder größere Gruppen aus Skagen entgegen. Viele suchten ein geeignetes Plätzchen in den Dünen oder bogen auf einem der kleinen Pfade in Richtung Strand ab.Bevor wir Skagen erreichten, statteten wir der versandeten Kirche noch einen Besuch ab. Die Kirche wurde im 14. Jahrhundert errichtet. Über mehr als zwei Jahrhunderte gehörte sie zu den größten und bedeutendsten hier im Norden Jütlands. Das wieder einsetzende Sandtreiben erreichte auch die Region südlich von Skagen und verwüstete auch hier die Landschaft. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte
man den Kampf gegen den Sand endgültig aufgeben. Wie an den anderen betroffenen Orten wurde das Kirchenschiff abgerissen. Nur den Kirchturm ließ man damals stehen, stellte er doch für die Seefahrer eine wichtige Landmarke dar. Heute ist sie ein beeindruckendes Zeugnis für die landschaftsgestaltenden Kraft des Windes. Der Eingang zum Turm liegt heute etwa auf Höhe des Daches des ehemaligen Kirchenschiffes, dessen Spuren nur noch zu erahnen sind. Für einen kleinen Obolus, kann man den Turm besteigen. Aus den Fenstern bietet sich ein eindrucksvoller Ausblick sowohl in Richtung Ostsee als auch über das heute bewachsene Meer aus Sand, dessen Opfer die Kirche einst geworden ist.Schon kurz vor zwei standen wir auf dem Hof der Jugendherberge. Die Rezeption war wie erwartet noch geschlossen, und wird erst in zwei Stunden geöffnet. Also stellten wir den Anhänger im Fahrradständer im Hof ab und fuhren ins Zentrum von Skagen. Bei einem Bäcker standen zwei Tische vor der Tür und es war zu sehen, dass es hier auch Kaffee gibt. Diese Einladung nahmen wir sofort an, und können nur wieder
bestätigen: Dänischer Bäckerkuchen ist unübertroffen gut. Auch der Kaffee war für hiesige Verhältnisse in Ordnung und wesentlich kräftiger als der Morgenkaffee in den meisten Danhostels. Gut gestärkt drehten wir eine Runde durch die Fußgängerzone und die umliegenden kleinen Gassen. In den meisten herrschte dichtes Gedränge und wir schwammen langsam in diesem Strom mit. Dabei erledigten wir ganz nebenbei die noch notwendigen Einkäufe. Obwohl schon Sonntagnachmittag war, hatten noch fast alle Geschäfte geöffnet. Durch die weniger bevölkerten Seitengassen kehrten wir zu unserem Quartier zurück. Etwa auf halben Weg stand auf einem kleinen Hügel ein recht gut erhaltene Windmühle, die wir so hier nicht erwartet hätten.Nach dem Check-In in der Jugendherberge fuhren wir noch Grenen, zur eigentlichen Attraktion von Skagen, dem Wellenschauspiel das sich bietet, wo Nord- und Ostsee zusammentreffen. Für das letzte Stück des Weges erwiesen sich aber unsere Kettwiesel als absolut ungeeignet. So parkten wir dort, wo auch alle anderen ihre Fahrzeuge abstellen mussten, egal ob Auto oder Fahrrad.
Von hier geht es nur noch zu Fuß oder mit dem Sandormen weiter, einer Art Busanhänger der von einem kräftigen Traktor durch den Sand und die Dünen bis zur äußersten Spitze gezogen wurde. Seinen Namen Sandwurm trägt dieses Transportmittel zurecht. Nach einigen Minuten Schaukelei hatten
wir unser Ziel erreicht. Wir waren an der nordöstlichen Spitze von Jütland am Grenen angekommen, dort wo Nord- und Ostsee zusammentreffen. Bei dem schönen Wetter hatte es viele Urlauber hierhergezogen, die sich das Schauspiel der aus unterschiedlichen Richtung ans Ufer rollenden Wellen ansehen wollten. Obwohl hier das Baden wegen der unberechenbaren Strömungen strengstens verboten ist, versuchten fast alle so weit als möglich in diese Chaos aus Wasser und Wellen vorzudringen ohne dabei ernsthaft nass zu werden. Es war gar nicht so einfach, einen Moment für ein Foto abzupassen, ohne dass irgendwer teilweise im Bild stand. Aber schließlich gelang es uns doch, einige beeindruckende Bilder zu schießen.Heute ging nur ein verhältnismäßig schwacher Wind. Was mag hier erst los sein bei Windstärken, wie wir sie in den letzten Tagen an der Nordseeküste bei Fjaltring oder Thyborøn erlebt hatten. Eine Weile ließen wir uns noch von dem Spiel der Wellen beeindrucken, dann pilgerten wir zu
Fuß zu unseren Rädern zurück. Auf dem Weg dorthin kamen wir an weiteren Bunkerresten vorbei. Die im Wasser dienten den Vögeln, die in den Dünen den Strandwanderern als willkommener Rastplatz. In Skagen hätte man gut auch zwei Tage verweilen können, denn hier gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Sehenswürdigkeiten und lohnender Ziele. Da wir aber alle Übernachtungen schon lange vorher buchen mussten, werden wir morgen wie geplant unsere Fahrt fortsetzen.schaefer 2008-12-07