Schon nach einer halben Stunde hatten wir unser erstes Tagesziel, San Salvatore, erreicht. In der Unzahl dicht aneinander gereihter kleiner Hütten, die den Dorfplatz umstehen, ist nur einmal im Jahr Hochbetrieb. Am ersten Sonnabend im September ist der kleine Ort Ziel des ,,Laufs der Barfüßigen``. Tausende Läufer nehmen an diesem Ereignis teil, das eine lange Tradition hat. Gedacht wird der Rettung des Heiligtums von San Salvatore vor einem Angriff der Mauren. Ein Läufer soll die Heiligenfigur nach Cabras und damit an
einen sicheren Ort gebracht haben. In der Nacht von Sonnabend zu Sonntag findet dann auf dem Platz vor der kleinen Kirche von San Salvatore ein großes Fest statt, bevor am Sonntag morgen die Läufer wieder zurück nach Cabras aufbrechen. Danach fällt San Salvatore wieder in einen ganzjährigen Ruhezustand, aus dem es zwischendurch nur ganz selten erweckt wird, als Filmkulisse für einen Italowestern. Als wir heute, am Dienstag nach diesem Großereignis, auf den Dorfplatz fuhren, waren noch einige Arbeiter mit den letzten Abbau- und Aufräumarbeiten beschäftigt. Ansonsten begegneten uns keine weiteren Besucher hier, die den Ort besichtigten. Die kleine, von außen recht unscheinbare Pilgerkirche war verschlossen. Unter dem Kirchenschiff befindet sich ein Brunnenheiligtum, das auf die Zeit der Nuragher zurückgeht und später die Punier und dann die Römer nutzten. In mehreren aus dem Fels gehauenen Bogengewölben sind ein nuraghischer Brunnen und ein christlicher Altar erhalten geblieben.Selbst die Bar am Dorfeingang öffnet ihre Pforten, wenn überhaupt, erst nach zwölf Uhr. Wir nutzen den Schatten unter ihrem Terrassendach für eine kleine Stärkung und beratschlagten, wie wir am besten weiterfahren. Die kleine Straße, die wir uns ausgesucht hatten, war ebenfalls eine Schotterpiste, wie wir beim Vorbeifahren gesehen hatten. Danach stand uns nicht der Sinn, nachdem wir davon schon vier Kilometer hinter uns hatten. Die Nebenstraße, auf der wir nach San Salvatore gekommen sind, sollte uns wesentlich dichter an das Ufer des ,,Stagno di Cabras`` heranführen als die Landstraße. Sie verläuft, nur anfangs asphaltiert, zwischen mehreren kleinen flachen Seen. Selbst wenn es dort Flamingos gab, wir hätten keine Chance gehabt sie zu sehen. Die Uferregionen waren immer noch viel zu weit weg. Aber dafür kamen wir in den zweifelhaften Genuss bester Waschbrettpisten.
Da noch genug Zeit war, entschlossen wir uns, noch die Halbinsel Sinis mit den Ruinen der Stadt Tharros zu besichtigen. Mit das Beeindruckendste war die sorgfältig durchdachte Abwasserkanalisation unter den Straßen der antiken Stadt, die bis heute erhalten geblieben ist. Man sollte sich für den Besuch eines solchen Freiluftmuseums aber eine andere Tageszeit wählen. Die pralle Mittagssonne hinderte uns doch sehr daran, alles in Ruhe anzusehen. Der leichte Wind, der gelegentlich vom Meer her wehte, schafft da nur wenig Abhilfe. So sind wir recht bald aus dem Museum wieder geflüchtet um den Schatten einer nahegelegenen Bar aufzusuchen.
Während wir hier saßen, traf auch eine Gruppe von 9 Radfahrern aus Deutschland ein und steuerte einen großen, offenbar reservierten Tisch an. Es scheint eine geführte Tour des Reiseveranstalters ,,Dolche Vita`` zu sein. Einige der Räder sahen sehr einheitlich nach Leihrädern aus und trugen diesen Aufdruck. Heute Vormittag war uns eine größere Gruppe auf Rennrädern entgegengekommen, alle mit der sardischen Flagge und dem Aufdruck ,,Tour Sardegna`` auf dem Trikot. Vor einigen Tagen waren uns diese Trikots schon einmal aufgefallen.
Seit wir nach unserer Ankunft in Bosa Marina eine eisgekühlte Coca-Cola tranken, hat Edda eine Vorliebe für diese Art der Erfrischung entdeckt. In dieser Bar auf der Halbinsel Sinis an der Westküste Sardiniens mussten wir nun feststellen, dass die hier gekaufte Coca-Cola in Polen, in Warschau hergestellt und abgefüllt wurde, so man dem Dosenaufdruck Glauben schenken kann. Eine verrückte Wirtschaftswelt ist das. Da bleib ich doch lieber bei Mineralwasser aus Sardinien und einem guten Espresso.
Als wir um halb vier zur Weiterfahrt aufbrachen, war es immer noch unerträglich heiß und drückend. Wir blieben auf den glatten Hauptstraßen, auch wenn der Reiseführer versprach, dass von den kleinen Staubstraßen am Rande des ,,Stagno di Cabras`` viele Wasservögel, darunter auch Flamingos zu beobachten seien. Nach unserer Erfahrung vom Vormittag misstrauten wir diesem Versprechen.
Von einem Punkt am Rande der Straße bot sich das Panorama der Stadt Cabras in seiner vollen Schönheit. Hier hatte man einen auffälligen Torbogen errichtet und eine große Tafel mit Bildern und Texten zur Geschichte der Stadt aufgestellt. Leider konnten wir sie nicht lesen, alles nur in italienischer Sprache. Unweit dieses Platzes überspannen zwei hölzerne Bogenbrücken die beiden Arme des kleinen Flusses, der den ,,Stagno di Cabras`` mit dem Mittelmeer verbindet. Die Brücken waren so steil und so schmal, dass sie nur Fußgänger benutzen können oder einmal im Jahr die Läufer von Cabras nach San Salvatore.
Unser Hotel lag etwas außerhalb von Oristano, innerhalb des Sportkomplexes. Der historische Stadtkern war aber noch bequem zu Fuß zu erreichen. Gut ausgerüstet mit einem kleinen Stadtplan und vielen Tipps und Hinweisen von der Hotelrezeption starteten wir am frühen Abend zu einer Besichtigung der schmalen Gassen innerhalb der alten Stadtmauer, die an vielen Stellen noch erhalten ist, ebenso wie die meisten der alten Stadttore.
Um die Pizzeria ,,La Grotta``, die man uns im Hotel als die beste von ganz Oristano empfohlen hatte, zu finden, bedurfte es jedoch der ortskundigen Hilfe eines Verkehrspolizisten. Er zeigte uns auf unserem Stadtplan genau die richtige Gasse am Rande des Historischen Stadtkerns, in der sich der Eingang zu der gesuchten Pizzeria befindet. Wir können nun nach deren Besuch nur bestätigen: Unbedingt empfehlenswert.
Auf dem Heimweg zum Hotel, wir hatten die Sportanlagen schon erreicht, kam uns ein ganzer Pulk an Läufern entgegen, die jetzt in den kühleren Abendstunden ihr Training absolvierten. Einige mit eigenem Trainer, der sie auf dem Fahrrad, mit Stoppuhr in der Hand, begleitete. Wir waren echt überrascht. Am nächsten Morgen erfuhren wir dann auch noch, dass die Reitbahn, auf der für das alljährlich stattfindende Sartiglia-Fest trainiert wird, rund um die Hotelanlage verläuft und deswegen vor dem Hotel so viele Reiter vorbei galoppieren. Dieses Reiterspektakel findet traditionell am letzten Sonntag vor Fasching statt und wird, wohl der Touristen zuliebe, nochmals im August ausgetragen.
Peter Schaefer 2010-10-21