Der erste Teil unseres Weges führte durch die Hochebene Barigadu. Dieses Gebiet liegt etwa 250 Meter hoch und ist größtenteils durch flach verlaufendes Gelände mit nur wenigen Erhebungen geprägt, die eine sanfte, fast unbesiedelte Landschaft bilden. Einige Kilometer von Fordongianus entfernt sind wir an den erste richtigen Korkeichenplantagen vorbeigekommen. In den vergangenen Tagen hatten wir schon einige frisch geschälte Bäume gesehen, aber hier dominieren
die Korkeichen das Landschaftsbild. Die Bäume werden alle 9 bis 12 Jahre geschält. Der nachwachsend Kork wird mit jeder Ernte minderwertiger und nach etwa 120 Jahren gelten die Stämme als verbraucht. Durch die industrielle Korkverarbeitung sind große, mehrere hundert Jahre alte Exemplare mit einem Meter Stammdurchmesser selten geworden. Auf einigen dieser Flächen, die fast alle von meterhoch aufgeschütteten Wällen aus großen Steinen umgeben sind, wachsen nur noch sehr wenige Bäume. Eine Neuanplanzung scheint sich nicht mehr zu lohnen. Die großen grasbewachsenen Flächen dazwischen erinnerten uns eher an eine Savanne als an einen Wald.Die künstlich angelegten Steinwälle zwischen den einzelnen Plantagen dienen wohl dem Brandschutz. Entlang der Straße, hatten wir den Eindruck, waren sie besonders hoch. Unterwegs sind wir an mehreren großen, abgebrannten Flächen vorbeigefahren. Fast alle hatten klein am Straßenrand begonnen und sind wohl eine Folge der hier üblichen Praxis, allen Müll aus dem Autofenster zu entsorgen.
Dem ersten Wegweiser zum Nuraghe Losa begegneten wir kurz vor der Autobahnbrücke bei Abbasanta. Er hätte uns direkt auf die 4 spurige mäßig befahrene Schnellstraße Sassari-Cagliari geführt. Der Besuch dieses bekannten, noch sehr gut erhaltenen Bauwerks wird in fast jedem Sardinien Reiseführer empfohlen. Bei der Reiseplanung hatten wir uns mit Hilfe von GoogleEarth und diverser Karten eine mit dem Fahrrad nutzbare Straße ausgesucht, die uns von Abbasanta direkt zu dem Nuraghen bringen sollte. Leider mussten wir dann feststellen das wir nur genau bis an die Autobahn, auf deren anderen Seite unser Wunschziel lag, herankamen, aber nicht weiter. Es gab hier weder eine Brücke, noch eine Überfahrt. In der Mitte trennte eine hohe Leitplanke die beiden Fahrbahnen gegeneinander ab. Uns blieb nicht anderes übrig, als wieder umzukehren. Vieleicht gab es ja noch eine andere Zufahrt auf der anderen Seite. Wir machten uns auf die Suche, fuhren wieder in den Ort zurück und verließen ihn auf einer anderen Straße. Hier fanden wir auch den nächsten Wegweiser, der uns allerdings auch wieder auf die Autobahn schicken wollte. Wir fuhren noch ein Stückchen weiter in westlicher Richtung und trafen auf eine große Hinweistafel, auf der eine Vielzahl archäologischer Sehenswürdigkeiten verzeichnet waren. Aber nicht der Nuraghe Losa. Damit stand für uns fest, das dieser leider nur über die Autobahn zu erreichen ist. Für uns mit dem Fahrrad führte kein Weg zu ihm. Dafür enthielt die Tafel genügend Hinweise auf andere Nuraghen. Wir entschieden uns spontan für den Nuraghen Aiga, der etwas über drei Kilometer entfernt sein sollte. Über eine Anliegerstraße, die, je weiter wir kamen, immer schlechter wurde, erreichten wir einen für den Massentourismus noch nicht erschlossenen Ort. Das letzte Stück Weg gingen wir zu Fuß auf einem schmalen Weg, den sonst vorallem Kühe und Schafe benutzen, zwischen alten mannshohen Trockensteinmauern hindurch. Und dann standen wir vor dem über 3000 Jahre alten Bauwerk. Der Nuraghe Aiga bestand ursprünglich aus drei Außen- und einem zweistöckigen Hauptturm. Dieser ist noch so
gut erhalten, dass man in sein Inneres treten kann und einen Eindruck von der Bauweise dieser Türme erhält. Durch die Öffnung in der Decke, fällt etwas Licht hinein. Um ihn herum befand sich eine relativ große Siedlung. Heute sind nur noch wenige Reste mehrerer andere Gebäude zu erahnen, solche wie wir sie vor einigen Tagen bei Alghero gesehen hatten. Alles befindet sich noch in dem Zustand, wie es die Jahrtausende überdauert hatte. Archäologen haben hier noch nicht groß gegraben. Genaue Angaben zu seiner Geschichte konnten wir nirgends finden, nur das in seinem Inneren ein besonderes astronomisches Phänomen beobachtet werden kann. Zu den Sonnenwenden wird das gebündelte Licht auf eine Nische in der Wand geworfen. Zur Mittsommerwende treten die Sonnestrahlen durch die Öffnung in der Decke des Hauptturmes ein und beleuchten um die Mittagszeit etwa eine Stunde lang eine Nische in der Turmwand, die extra deswegen geschaffen wurde. Zur Wintersonnenwende ist das gleiche Schauspiel zu beobachten. Die Sonne trifft jetzt bei Sonnenaufgang durch den Eingang des Nuraghen auf die gleiche Wandnische.Von der langen Suche und der ausgiebigen Besichtigung sind wir langsam hungrig geworden. Auch wenn heute keine Mittagshitze uns schwitzen ließ, die Sonne sich hinter dicken Wolken versteckt hielt und wir daher mit Regenjacken unterwegs waren, sehnten wir uns langsam nach der gewohnten Mittagspause. In Ghilarza fanden wir dann eine Kantine, die ,,Bar Tavola Calda``. Hier gab es einfaches, aber wohlschmeckendes sardisches Mittagessen, zu einem sehr anständigen Preis. Erst hatten wir gar nicht gesehen, das hier geöffnet ist. Zwei Männer, die die Treppe neben der Bar hochkamen, machten uns auf den Gastraum im Untergeschoss aufmerksam.
Da wir sehr viel Zeit bei der Suche nach dem Nuraghen Losa verloren hatten, wollten wir etwas Strecke einsparen und die in der Karte eingezeichnet Straße parallel zur Autobahn benutzen. Sie ist etliche Kilometer kürzer und versprach zudem nur relativ wenige flache Steigungen, da sie in der Nähe des Ufers des Omodeo-Sees, des größte Stausee Sardiniens bleiben sollte. Aber an der Ortsgrenze wechselte der Asphalt plötzlich in staubigen Schotter. Der Verkehr fließt über die Autobahn und so hat diese Straße ihre Bedeutung und auch ihre Erhaltung eingebüßt. Danach war uns auch nicht zu Mute und so kehrten wir wieder auf die geplante Strecke zurück, die sich durch und über die Hügel oberhalb des Stausees schlängelte. Unser Weg führte uns zuerst durch die kleinen Ortschaft Norbello, in deren Umgebung roter Wein angebaut wird. Von der fast unbefahrenen schmalen Asphaltstraße boten sich mehrmals phantastische Ausblicke über den Stausee auf die gegenüberliegenden Berge.
Auf dem Weg nach Sedilo sind wir noch an mehreren weiteren Nuraghen vorbeigefahren. Keiner von ihnen war auf unserer Karte eingezeichnet. Insgesamt gibt es auf Sardinien an die 7000 von ihnen, die in mehr oder weniger gutem Zustand die Zeit überdauert haben.Am späten Nachmittag erreichten wir unser Bed&Breakfast am Rande von Sedilo. Nach dem wir unser Zimmer bezogen, die Räder in der benachbarten Garage hinter zwei dicken Schlössern sicher verwahrt waren und wir mit unserer Wirtin die Zeit für das morgige Frühstück verabredet hatten, sind wir noch zu einer kleinen Besichtigung aufgebrochen. Uns interessierte die ganz in der Nähe liegende kleine Wallfahrtkirche. Sie ist bekannt, da hier einmal im Jahr, am Nachmittag des 6. und im Morgengrauen des 7. Juli die ,,Ardia`` von Sedilo stattfindet. Das faszinierende Pferderennen, zu Ehren des heiliger Kriegers und Schutzherrn ,,Santu Antine``, dem heiligen Konstantin, zieht zehntausende Besucher und Schaulustige in seinen Bann. Bei dem Rennen wird der mutigste Reiter in einem wilden Galopp um die Kirche von anderen berittenen Teilnehmern verfolgt, die versuchen, ihm die Fahne zu entreißen. Heute Abend lag alles ganz friedlich im Licht der Abendsonne.
Die Pizzeria, die uns unsere Wirtin empfohlen hatte, war leider ausgerechnet heute, am Montag, geschlossen. Wir hatten schon Sorge, dass wir hungrig zu Bett gehen müssen, als wir auf der Suche nach einer Alternative durch die verlassenen Gassen von Sedilo liefen. Es begann schon langsam dunkel zu werden. Dank der Hilfsbereitschaft einer Anwohnerin kamen wir aber doch noch zu unserer abendlichen Pizza. Mit dem Auto wurden wir ganz fix bis vor die Türe der einzigen heute offenen Pizzeria, wahrscheinlich der einzigen offenen Gaststube von Sedilo gebracht.
Peter Schaefer 2010-10-21