Di. 3.Oktober Ponte della Pia

45,4km; 710Hm

Das eigentliche Ziel unseres dritten Tages in den Bergen der Montagnola, die etwa 20km Luftlinie von unserem Quartier entfernt liegende Abtei San Galgano, oder ,,Die Kirche ohne Dach`` wie sie unser Wirt etwas respektlos bezeichnete, war uns letztendlich doch zu weit entfernt. Wir hatten in den letzten Tagen schon festgestellt, dass einige der Wege, die wir benutzen wollten, nur mit einem guten MTB zu befahren sind und uns nichts anderes übrigbleibt, als auf den weitestgehend asphaltierten Straßen oder den wenigen besser gepflegten Schotterpisten zu bleiben. So änderten wir als unsere

Bild 1.50: Kakteen am Straßenrand in Pievescola
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Pläne für den heutigen Tag, fuhren bis Pievescola, um von dort unser neues Tagesziel anzusteuern, die Ponte della Pia. Den Hinweiß darauf entnahmen wir dem Radtourenführer für das Mersetal, den wir gratis in Sovicille von der Touristeninformation erhalten hatten. Die kleinen Karten enthielten insgesamt zehn detaillierte Routenbeschreibungen, mit Informationen zur Wegequalität und kurze Erläuterungen zu den interessantesten Orten an der Strecke. So sind wir auf unser heutiges Tagesziel aufmerksam geworden. Entgegen den Vorschlägen sind wir jedoch auf den asphaltierten Straßen geblieben und haben die Schotterabschnitte und sonstigen Wege gemieden. Von Pievescola blieb uns so nur die allerdings wenig befahrene Hauptstraße SP 541, die erst durch das obere Val de Elsa und dann entlang des Baches Rosia verläuft. Nach einigen Kilometern erreichten wir eine sehr markante Kreuzung, in deren Mitte ein noch auffälliger Wegweiser stand. Glaubt
Bild 1.51: Colonna di Montarrenti
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man seinen Aufschriften dann, steht er in der Mitte zwischen Florenz und Grosetto. Von hier bis San Galgano wären es noch weitere 13 Straßenkilometer gewesen und die auch genauso wieder retour. So verzichteten wir auf die ,,Kirche ohne Dach``. Und bogen wieder Richtung Siena ab.

Der Routenvorschlag sah vor, nach etwa 2km den Bach Rosia in einer Furt zu durchqueren und auf dessen anderer Seite auf einer historischen Straße weiterzufahren, bis man die Ponte della Pia erreicht, eine alte Steinbrücke über den Bach Rosia, die bis auf die Römerzeit zurückgeht. Ihr jetziges Aussehen soll sie etwa um das Jahr 1000 erhalten haben. Heute liegt sie direkt an der Staatstraße 73, etwas versteckt und unscheinbar. Ihren Namen hat sie von Pia del Tolomei, einer Frau, die auch von Dante in der ,,Göttlichen Komödie`` erwähnt wird. Auf dem Weg von Siena ins Exil soll sie diese Brücke überquert haben. Nun standen wir vor dieser Brücke um sie

Bild 1.52: Ponte della Pia
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vorsichtig zu Fuß zu überqueren. Das Tal ist hier so eng, das es wirklich keine Möglichkeit für einen Parkplatz gibt. Selbst mit unser Tandem war es nicht so einfach, es vor der Brücke abzustellen. Uns störte das alles nicht weiter, konnten wir doch ungestört auf der Brücke picknickten. Von der anderen Seite des alten Bauwerkes führt eine mit großen Steinplatten grob gepflasterte Straße, heute nur noch als Wanderweg genutzt, durch das schmale Tal zur ehemaligen Einsiedelei Santa Lucia in Rosia. Genau diesen Weg hätten wir anstelle der Straße nutzen sollen. Auch von dieser Seite schien die Benutzung der antiken Strada Manliana und die zuvor notwendige Überquerung der Ponte Pia mit unserem Zug als zu gewagt und aufwendig. Wir hätten jedes Rad zweimal über die steile Brücke tragen müssen. Der Weg zur Einsiedelei ist eine Sackgasse, nach etwa 1.5km kann man nur über die besagte Furt wieder auf die Straße gelangen. Laut Beschreibung existieren von dem ehemaligen Augustinerkonvent nur noch ein Gebäude und die Begrenzungen der großen Kirche.
Bild 1.53: Pause auf der Ponte della Pia
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Also fuhren wir nach einer ausgedehnten Pause weiter nach Rosia, einem Ort, dem man sowohl seine Geschichte als auch die Nähe zu Siena ansieht. Zwischen den historischen Gebäuden wurden hier eine ganze Anzahl an Wohnblöcken neugebaut, deren Aussehen und Farbgebung sich jedoch an die zum Teil sehr alten Nachbarn anpasst. Die im oberen Teil des Ortes gelegene Burg ist so oft umgebaut worden, dass sie zwischen den anderen alten Häusern kaum noch als solche zu erkennen ist. An einige Stellen wundert man sich nur über kleine, wie Schießscharten aussehende Öffnungen in den Mauern.

Das bedeutendste Bauwerk, die Kirche San Ciovanni Battista aus dem 14. Jahrhundert mit ihrem markanten Glockenturm, hatte entgegen den Ankündigungen geschlossen und uns blieb nichts weiter übrig, als uns mit der Außenansicht zu begnügen. Die kostbare Innenausstattung, ein Marmortaufbecken aus dem 12. Jahrhundert und die Altartafel, blieben uns dagegen verborgen.

Bild 1.54: Kirchturm von San Ciovanni Battista in Rossi
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Bevor wir nach Sovicille weiterfuhren, fuhren statteten wir dem kleinen Ort Torri, der etwas abseits der Hauptstraße liegt, noch einen Besuch ab. Die Zufahrt ist auf beiden Seiten von alten mächtigen Zypressen gesäumt, eine Allee wie sie auf typischen Werbefotos der Toskana so oft zu sehen ist. Seit dem wir in der Toskana unterwegs sind war es das erste Mal, dass wir so eine Allee befuhren. Im Ort gibt es ausschließlich alte, meist aber gut instand gehaltene Häuser, zwischen denen sich enge Gassen schlängeln. Schon eine kleine Fuhre Brennholz vor der Tür reicht aus, und keiner kommt mehr so richtig vorbei. Im Zentrum die Kirche mit den Gebäuden der ehemaligen Abtei Santa Mustiola, die den inneren Hof mit seinem Kreuzgang fast wie eine Festung abschirmen. Durch das kleine, jetzt verschlossenes Tor kann man nicht in den Hof blicken, der laut Reiseführer von einen beeindruckenden, mit drei Rängen gebauten Kreuzgang umgeben ist. Will man all diese Sehenswürdigkeiten sehen, muss man seine Touren genau nach den kurzen Öffnungszeiten planen, und selbst dann kann man Pech haben, und es ist geschlossen.

Wenn man sich dem Ort vom Norden her nähert, vermittelt er einen sehr wehrhaften Eindruck. Von weitem sieht er dann wie ein riesiges Schiff aus, das sich aus der Landschaft erhebt. Leider ist diese Seite auch die Unansehnlichste.

Bild 1.55: Der kleine Ort Torri von Norden gesehen
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Nachdem wir uns gestern schon einmal kurz den alten Ortskern von Sovicille angesehen hatten, statteten wir heute dem Piazza Marconi erneut einen Besuch ab, dessen eine Seite von der Kirche San Lorenzo begrenzt wird. Das Portal stand offen und so konnten wir uns diese auch von Innen ansehen. Die gesamte eine Längsseite wird von einem großen Wandgemälde eingenommen. Im Unterschied zu den vielen anderen Kirchen, die immer mit mehr oder weniger bekannten Künstlern in Verbindung gebracht werden, war sein Schöpfer anscheinend eher unbedeutend. Es fand sich nirgends ein Hinweis auf ihn oder das Wandbild.

Bevor wir die Auffahrt nach le Cetina begannen, kehrten wir zur Stärkung noch in die Pizzeria ein, nach deren Öffnungszeiten wir uns am Sonntag erkundigt hatten. Sie ist wirklich erwähnenswert. Das Teramisu, unsere Nachspeise, war einfach köstlich. Gut gestärkt konnten wir nun den Heimweg antreten.

Direkt an der Straße, die von Sovicille nach Pievescola führt, liegt Ancaiano. Von hier bieten sich jedesmal wechselnde Aussichten in Richtung Siena aber auch auf die bewaldete Hügelkette der Montagnola, derentwegen wir auch heute wieder kurz verweilten. Auch der wuchtige Bau der Einsiedelei hoch über der Villa Cetinale ist ebenso wie diese von hier gut zu sehen. Jetzt im Licht der späten Nachmittagssonne kamen die warmen Farbtöne der Ziegel, aus denen die Häuser und die örtliche Kirche gebaut sind, noch deutlicher zur Geltung.

Bild 1.56: Ancaiano am Nachmittag
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Einige Kilometer weiter, am höchsten Punkt, am Passo degli Incrociati (505m), Zweigt der Schotterweg nach La Cetina ab. Nach unserer Ankunft inspizierten wir noch bei einem kleinen Spaziergang den Ort und entdeckten dabei einiges Bemerkenswertes. So stand ein Traktor aus Eichstätt in Bayern unter einem steinalten Kastanienbaum. Mit ihm waren einige Mitglieder einer Kommune, die sich vor Jahren in dem verfallenen Dorf La Cetina niedergelassen hatten, aus Deutschland angereist und hatten so den weiteren Verfall des Ortes gestoppt. Heute sind die einstigen Pioniere zwischen den Neubürgern des Ortes und deren renovierten und sanierten Häusern schon fast wieder Außenseiter. Einigen der Häuser sieht man sofort an, dass hier viel Geld dahinter steht.

Bild 1.57: Alter Traktor unter einem viel älteren Kastanienbaum
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Nun sitzen wir in unsere gemütlichen Stube, bei einem Gläschen roten Weines, kein Chianti-Classico, aber dennoch nicht zu verachten, während draußen ein heftiger Wind, fast schon ein Sturm tobt. Mit fast 600m Höhe liegt unser Quartier nur unwesentlich niedriger als die höchsten Erhebungen der Hügelketten der Montagnola.

schaefer 2007-10-07