Nach einem ausgiebigen Studium des Baedeker Toskanareiseführers und der verschiedenen Landkarten gestern Abend entschieden wir uns dafür heute der Altstadt von Colle di Val d' Elsa einen Besuch abzustatten, auch wenn wir auf einen Großteil des Weges dorthin schon von unserer Anreise von la Cetina kannten, allerdings bei sehr schlechtem Wetter. Auch das Ehepaar aus München, das zur gleichen Zeit wie wir in La Cetina zu Gast war, hatte uns einen Besuch von Colle sehr empfohlen. Auf die eigentlich für heute noch vorbereitete Tour ins Chianti verzichteten wir, da wir das Ziel Castellina schon zweimal besucht hatten und uns der Weg dorthin, an Poggibonsi vorbei, nicht sonderlich attraktiv erschien.
Colle Alto, das auf einem schmalen, langgezogenen Felsen erbaut wurde, erreichten wir durch das westliche Stadttor, die Porta Nova. Wie eine Festung mit zwei wuchtigen Rundtürmen erhebt es sich und versperrte einst den Zugang zur Stadt. Heute fließt der Verkehr auf einer Umgehungsstraße in einem großen Bogen an der Altstadt vorbei. Durch die in dem riesigen Tor winzig wirkende Pforte konnten wir in die Oberstadt, in den Stadtteil Borgo hineinfahren.
Auf den schmalen Straßen und Gassen herrschte wenig Betrieb. Nur einige Touristen schlendern hier entlang. Dementsprechend reiht sich auch nicht ein Souvenir- oder Spezialitätengeschäft an das andere. Stattdessen findet man hier Gemüsehändler, Bäcker und Fleischer, zwischendrin einige kleine Restaurants und Bars. Zwischen den vielen Bürgerhäusern fallen die Renaisancepaläste und der Palazzo Communale kaum auf. So schmal wie die Gassen sind auch einiger der Häuser, so am Piazza San Caterina. Gerade einmal so
breit wie die Eingangstür ist die Stirnseite des Hauses mit der Nummer 1, das wie ein Tortenstück an den Platz grenzt.Über eine alte Brücke, die wir dadurch bemerkten, dass die Häuserreihen zu beiden Seiten der Straße kurz unterbrochen waren, und durch ein weiteres Tor gelangten wir in den zweiten Teil der Altstadt nach Castello, das mit seinen engen teils überbauten Gassen noch mittelalterlicher wirkt als Borgo. Hier war noch weniger Betrieb. In der Via del Castello kamen wir an einigen Geschäfte vorbei, in denen Glas und Kristall angeboten werden, zum Teil in der direkt nebenan liegenden Werkstatt oder Atelier gefertigt. Colle Val de Elsa gilt als ein Zentrum des Glasmacherhandwerkes mit viel Tradition. Der Großteil der Glasindustrie hat sich heute in der modernen Unterstadt von Colle di Val de Elsa angesiedelt.
Inzwischen war es ein Uhr Mittag geworden und alle Geschäfte hatten wieder geschlossen, die Restaurants öffneten erst abends und so gab es für die meisten keinen Grund mehr sich auf der Straße aufzuhalten. Nur vor der einen oder anderen Bar saßen noch ein paar Leute. Auch wir ließen uns von dieser Ruhe anstecken und bummelten langsam durch die leeren Gassen über den Piazza del Duomo, vorbei an dem vor 400 Jahren erbauten Dom und dem Palazzo Pretorio, der das archäologische Museum beherbergt. Manchmal konnte man in den engen und verwinkelten Gassen das Gefühl bekommen, die Zeit sei stehengeblieben, ein Reiter würde um die Ecke kommen und sein Pferd an einem der eisernen Ringe anbinden, die fast überall noch an den alten Hauswänden angebracht sind.
Und plötzlich war die Altstadt zu Ende. Wir standen auf einem ganz neu angelegtem Platz mit ein paar Bänken. Hinter der niedrigen Mauer, die den Platz umgab fiel der Hang steil ab. Ein wenig genutzter Weg schlängelte sich in mehreren Serpentinen nach unten. Vor uns lag Colle Basse, die Neustadt mit ihren vielen Wohnblöcken und Industriebauten. Mitten auf dem Platz erhob sich eine Konstruktion aus Stahl und Glas. Es ist der neue Fahrstuhl, der von der Neustadt nach hier oben führt. Mit ihm ist wohl auch die Gruppe englischer Radtouristen nach hier oben gekommen. Alle waren mit dem gleichen Rad, der gleichen Lenkertasche und den gleichen Gepäcktaschen ausgerüstet. Die Räder unterschieden sich nur durch den Namen, der auf einem roten Schild am Gepäckträger angeschrieben war.
Noch während wir die Aussicht über das Val d' Elsa und die Ansicht von Colle Alto von hier genossen, waren aus unmittelbarer Nähe viele Kinderstimmen zu hören. In einem der Gebäude am Rande des Platzes ist ein Kindergarten und Hort untergebracht. Jetzt nach der Siesta schien man sich dort auf die Nachmittagsaktivitäten einzustellen.
Wir fuhren nicht mit dem Fahrstuhl nach unten, sondern machten auf dem Platz kehrt. Die Neustadt interessierte uns nicht sonderlich, auch wenn es am Ufer des Flusses einen sehr schöne Parkanlage geben soll, von der uns die Münchner berichtet hatten. Durch mehrere schmale Seitengasse, unterhalb der Brücke, die die beiden Stadtteile von Colle Alto verbindet, fuhren wir wieder zurück zur Porta Nova, dem Stadttor, durch das wir gekommen waren. Hier versuchten gerade zwei Polizisten das Durcheinander, das durch den Feierabend in einer größeren Gesamtschule täglich neu entsteht zu bändigen. Ihre Bemühungen führten letztendlich genau zum Gegenteil. In dem von ihnen organisierten Auffahrunfall waren mehrere Fahrzeuge verwickelt. Die sich anschließenden Diskussionen waren trotz des Lärms des weiterfließenden Verkehrs nicht zu überhören.
Da wir nicht in das Verkehrsgewühl zwischen Colle und Poggibonsi mit mehreren Fernstraßen und der Autobahn Florenz-Siena geraten wollten, nahmen wir rückzu den gleichen Weg, auf dem wir gekommen waren, nun allerdings bergab und bei bedeutend schönerem Wetter als am Sonnabend. Ein Rennradfahrer, der uns in den Serpentinen mit deutlich höherer Geschwindigkeit überholte, wünschte uns im Vorbeifahren eine gute Fahrt. Wir zogen es in den engen Kurven lieber vor öfter zu bremsen.
Unten angekommen legten wir in der Bar mit dem auffälligen Tierkopf am Giebel über der Eingangstür unsere wohlverdiente Rast ein. Von weitem könnte man denken, es handelt sich um eine Jägermeisterwerbung, aber anstelle des Hirschgeweihs prangte als Kopfputz das Gehörn eines Langhornrindes. In dem durch eine Hecke von der Straße abgetrenntem Garten konnte man gut sitzen. Aus den Lautsprechern klang angenehme Dixieland- und Soulmusik und die frisch zubereiteten Spagetti mit Käsesoße schmeckten ausgezeichnet. Ein richtiger Platz zum Verweilen. Schließlich rafften wir uns doch wieder auf um auf den Hügel hoch zu fahren, auf dem Fulignano liegt.
Da es noch zeitig am Abend war, schlenderten wir nach unserem Bad im Swimmingpool noch durch den Ort Casaglia. Wie auch in La Cetina sind die meisten Häuser heute Ferienwohnungen, entweder vermietet oder selbst genutzt. Das eine oder andere Gebäude dazwischen macht noch einen sehr trostlosen Eindruck. Auch das heute sehr gepflegte Castello Fulignano war vor wenigen Jahren nur noch eine halbverfallene Ruine gewesen, die mit viel Aufwand wieder restauriert und rekonstruiert wurde. Etliche Bilder an den Wänden der Flure erzählen davon.
Nun heißt es langsam Abschied nehmen von der Toskana und ihrem besonderen Reiz. Ab morgen beginnt unsere Heimreise, zuerst wieder zurück Richtung Florenz, nach Impruneta.
schaefer 2007-10-07