So. 8.Oktober San Gimignano

25,7km; 480Hm

Nach dem gestrigen Regentag wurden wir heute morgen wieder durch die Sonne begrüßt. In den den umliegenden Täler hingen noch die Nebelschwaden, aber San Gimignano, unser Ziel an diesem Tag, lag schon im Licht der aufgehenden Sonne. Aus dem Fenster unseres Appartement konnten wir, wie im Werbeprospekte von Castello Fulignano versprochen, direkt auf die etwa 3km entfernte Stadt blicken. Dazwischen liegen aber noch zwei tief eingeschnittene Bachtäler und ein weiterer Bergrücken.

Bild 1.76: San Gimignano in der Morgensonne
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Das Frühstück war ausnahmsweise ein typisch italienisches. Da wir gestern keine Lebensmittel eingekauft hatten, griffen wir auf das Angebot des Hauses zurück. Ein wenig Gepäck, zwei Scheiben zwiebackähnlichem Brot, dazu Honig und Marmelade. Ergänzt wurde das alles durch einen kräftigen, doppelten Espresso. Danach ging es dann los.

Man sollte sich nicht auf die in Landkarten gegebenen Empfehlungen für Radtouren verlassen, auch wenn sie durch Wegweiser und Hinweistafeln vor Ort markiert werden. Wir hatten heute Vormittag auf diese Art und Weise einen großen Reinfall erlebt. Bis zu den letzten Häusern des Örtchens Casaglia war der gewählte Weg eine ganz normale Schotterstraße, die dann in eine Art Feldweg überging, der weiter bergab führte. Je weiter wir nach unten kamen, desto tiefer wurden die Spuren, die nicht nur der gestrige Regen hinterlassen hatte. Ein Jäger, zumindest hielten wir ihn für einen solchen, denn er war mit Flinte und Hund unterwegs, deutete uns gestenreich an, dass der Weg noch schlechter wird.

Gejagt wird hier um diese Jahreszeit auf Fasan. Der Hund soll die Vögel aufstöbern und hat dazu eine kleine Glocke um den Hals gebunden. Uns war zuvor schon ein derart ausgestatteter Hund über den Weg gelaufen und wir hatten uns doch etwas über das bimmelnde Glöckchen um seinen Hals gewundert. Die Erfolgsquote dieser Art von Jagd scheint aber nicht allzu hoch zu sein, denn keiner der Jäger, die uns begegneten, hatte eine Beute, einen geschossenen Fasan bei sich.

Mit seinen Warnungen sollte der Jäger recht behalten. Immer öfter mussten wir unser Tandem, meist beide Hälften getrennt, den Berg hinunter dirigieren und über die teilweise einen halben Meter tief ausgewaschenen Spurrinnen tragen. Umkehren und alles wieder nach oben zuziehen erschien uns auch nicht als die bessere Alternative. Im Unterschied zu uns fühlten sich die Motorcrossfahrer auf ihren Geländemaschinen auf diesem Weg richtig zu Hause. Kurz bevor wir das Tal erreicht hatten versperrten uns zwei Geländewagen den Weg. Sie

Bild 1.77: Auf dem ,,Radwanderweg`` unterhalb von Casaglia
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versuchten hier nach oben zu fahren, waren aber an einer besonders tiefen Rinne im Weg stecken geblieben. Immer wieder probierten sie es aufs neue und jedesmal musste man Angst haben , das Auto kippt einfach um. Wir hatten inzwischen schon etwas Übung und trugen auch hier unsere Räder eins nach dem anderen über das Hindernis. Kurz bevor wir die Straße erreicht hatten trafen wir die beiden Jeeps wieder. Sie hatten kapituliert und suchten nun einen anderen Weg, der einfacher nach oben führt.

Das ganze Abenteuer hat weit über eine Stunde gedauert, in der wir noch nicht einmal 2km zurückgelegt hatten, mehr als wir für die restlichen Teil der Strecke auf der allerdings stark befahrenen Straße nach San Gimignano brauchten. Da sich das Wetter seit gestern wieder total umgestellt hatte, fast wolkenloser, strahlend blauer Himmel, sahen wir das ganze aber sehr gelassen als ein weiteres gut überstandenes Abenteuer.

Vom Stadtrand folgten wir dem Strom der Touristen, die aus unzähligen Autos und Bussen quollen. Bei einem Pizzabäcker direkt am Straßenrand stärkten wir uns mit 3 großen Stücken Pizza bevor wir die mittelalterlich Stadt durch die Porta San Giovanni betraten.

Bild 1.78: Porta San Giovanni
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Das wuchtige Tor im mittelalterlichen Mauerring wurde um das Jahr 1300 erbaut und ist das am besten erhaltene. Direkt dahinter beginnt die Via San Giovanni, in der sich ein Geschäft an das andere reiht, Souvenirläden, Weinhandlungen und kleine Cafés wechseln sich ab. Wir schwammen mit unserem Rad langsam in dem Menschenstrom mit, der sich ununterbrochen zum Piazza della Cisterna, dem Zentrum von San Gimignano schiebt. Auch wir kauften hier einige Kleinigkeiten zum Mitbringen und Verschenken, so eine typisch toskanische Wildschweinsalami, die es wohl nur bei solchen spezialisierten Metzgern gibt. Die Probescheibe jedenfalls war vorzüglich. Auf den Kauf einer anderen Spezialität von San Gimignano haben wir verzichtet. Der Vernacchia ist der einzige beachtenswerte Weißwein, der in der Toskana angebaut wird. Wir hätten die Flasche wohl nicht unbeschadet bis zu unserem Quartier geschweige denn nach Berlin bekommen.

In den Seitengassen, abseits des Touristenstromes, ist es, ähnlich wie wir es in Radda oder Castellina erlebt hatten, doch erheblich ruhiger. Wäsche hängt an den Fenstern, hier steht die Tür zu einer Tischlerwerkstatt offen. Es sind nur wenige Leute zu sehen. Dank der

Bild 1.79: In den Nebenstraßen von San Gimignano
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umfangreichen UNESCO-Gelder, die zur Sanierung der mittelalterlichen Bausubstanz zur Verfügung standen, sind auch hier alle Häuser in einem erstklassigen Zustand. Insbesondere an den prunkvollen, massiven Haustüren ist das besonders auffällig. Auch wenn in den Reiseführern oft zu lesen ist, dass man hier eine Vorstellung vom städtischen Leben im Mittelalter gewinnen könne, hatten wir genau den entgegengesetzten Eindruck. Man lebt hier in modernen Wohnungen die dem Standard der heutigen Zeit entsprechen. Nirgendwo fließt das Abwasser auf die Straßen oder wird der Müll einfach vor die Tür gekippt. Hinter manchem Tor im Erdgeschoss befindet sich ein sauber gekachelter Raum mit Mülltonnen, unter dem mittelalterlichen Pflaster verbergen sich die Leitungssysteme wie in jeder anderen Stadt, die sich hier und da durch die üblichen kleinen Deckel verraten. Und auf den Dächern künden Fernsehantennen und Satelitenschüsseln von der heutigen Zeit. Obwohl heute Sonntag ist, fanden wir hier sogar einen geöffneten Bäcker, bei dem wir Brot kaufen konnten.
Bild 1.80: Die Reste der Festung Montestaffoli
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Aus einer der schmalen Gassen kamen wir in eine kleine Parkanlage mit Feigen- und Olivenbäumen. Dazwischen die Mauerreste der 1353 von den Florentinern an der höchsten Stelle des Stadthügels erbauten Festung Montestaffoli. Nur 200 Jahre später wurde sie auf Befehl der Medici wieder zerstört. Von dem einen noch erhaltengebliebenen Türme hat man einen schönen Ausblick sowohl über die Stadt selbst als auch über ihre Umgebung. Im Schatten der stehengebliebenen Mauern stand ein Flügel auf dem ein Musiker klassische Melodien spielte.

Von hier kehrten wir zum Piazza della Cisterna zurück. Direkt an diesem Platz liegt auch der Palazzo del Popolo, der Bürgermeisterpalast mit dem 54 Meter hohen Torre Grassa. Er ist der höchste Turm der Stadt. Er ist seit seiner Vollendung im Jahre 1311 das Maß für alle anderen Türme gewesen, denn eine Verordnung bestimmte ihn als Richtwert, und kein anderer durfte höher bauen. Die Stadt wurde damals von rivalisierenden Adelsfamilien beherrscht, die sich gegenseitig übertreffen wollten, um auch so ihre politische Macht zu demonstrieren. Zum Ende des Mittelalters kündeten 72 dieser Riesen von der Blüte der Stadt. 15 von ihnen haben die Zeiten überdauert. Dies ist vorallem der Entscheidung des Stadtrates im Jahre 1348 zu verdanken. Damals zog man nicht in den Krieg gegen das mächtige Florenz und rettet so das durch die Geschlechtertürme geprägte Erscheinungsbild. Um die unterlegene Städte zu demütigen wurden diese einstigen Zeichen der Macht zerstört.

Für 4 Euro Eintritt kann man den Torre Grassa über eine im Vergleich zum Torre del Mangia in Siena komfortable Wendeltreppe besteigen. Von hier oben bieten sich viele verschiedene Anschichten auf die engen Gassen und Plätze und ein beeindruckendes Panorama der umliegenden Hügellandschaft.

Bild 1.81: Blick vom Torre Grassa auf die Piazza della Cisterna
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Die Besichtigung des Museo Civico, des städtischen Museums, und der Pinakothek ist im Preis für die Turmbesteigung inbegriffen. In dem großen Saal im zweiten Stock kann man sich gut vorstellen, wir hier einst die Honoratioren der Stadt zusammensaßen und Rat hielten. An den Verzierungen und der Gestaltung der einzelnen Plätze, die sich an den Wänden aneinanderreihten, kann man Stand und Einfluss ablesen. Die Wände oberhalb des hölzernen Gestühls sind durch Wandmalereien geschmückt. In der Pinakothek sind Werke florentinischer und sienesischer Malerei ausgestellt, für die wir uns eigentlich viel zu wenig Zeit nahmen.

Manch andere der vorgeblichen Sehenswürdigkeiten scheinen sich stark an der Nachfrage zu orientieren. So gibt es in San Gimignano wenigsten zwei Foltermuseen und auch Volterra wirbt mit großen Tafeln an der Straße für das dortige Museum zum gleichen Thema.

In einer kleinen Bar am Piazza Sant Agostino genossen wir etwas abseits des ganz dichten Trubels den schönen Nachmittag und die italienische Küche. Langsam waren auch die Heerscharen an Kurzbesuchern wieder abgefahren. Erst um diese Zeit beginnt San Gimignano langsam seinen besonderen Reiz zu entfalten. Leider mussten auch wir jetzt wieder zur Heimfahrt aufbrechen.

Bild 1.82: Begleiter auf dem Heimweg
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Wir verließen die Stadt durch die Porta San Matteo. Auf einer ruhigen Nebenstraße, ausreichend befestigt, fuhren wir über einen kleinen Bergrücken, die mittelalterlichen Hochhäuser auf der einen und Casaglia auf der anderen Seite, zurück Richtung Poggibonsi. Auf dem steilsten Stück überholten uns drei Jungen auf ihren Mountainbikes. Für die Auffahrt nach Castello Fulignano nutzten wir diesmal die schon gestern erprobte Straße und verzichteten auf jeden weiteren Versuch, einer ausgeschilderten Radroute als Abkürzung zu folgen.

Nach unserer Ankunft probierten wir noch den Swimmingpool des Hauses aus. Ob wir das abendliche Ritual unserer ersten Woche in Panzano hier fortsetzen werden schien uns danach doch etwas fraglich. Obwohl die Sonne den ganzen Tag geschienen hatte, war das Wasser lausekalt. Auch wärmt die Abendsonne nicht mehr so intensiv, wie noch vor zwei Wochen in San Martino a Cecione. Den anderen Gäste des Hauses, zwei texanischen Ehepaaren, war das Wasser zu kalt.

schaefer 2007-10-07